Autor: Rudi
alias „Das letzte Einhorn?“
Die Farbfleckenwelt
Vielleicht kennst auch dieses Gefühl
der inneren Unzufriedenheit. Der Körper verspannt sich in sich selbst.
Alle Sinne reagieren völlig überreizt auf Einflüsse der
Umwelt. Ich kann meine eigene Farbe nicht finden. Nun - eines Tages erging
es Amado geradeso. Amado war in dieser seelisch angespannten Gefühlsregung
verloren und suchte vergeblich seine Farbe der Zufriedenheit. Die innere
Unruhe des unentwegten Suchens hatte sich wie eine Krankheit seiner körperlich-seelischen
Gesamtheit bewältigt und schien ihn nicht mehr loslassen zu wollen.
"Hallo
-", hörte Amado in diesem Augenblick eine zarte, aber aufmunternde
Stimme. Vorerst konnte er nicht erkennen, woher sie kam. "Hallo - ich bin
hier unten am Boden vor deinem Schreibtisch." Da lag aber nur ein alter
Malkasten. "Hallo - hörst Du mich?" Dieser alte Malkasten sprach doch
tatsächlich mit ihm. "Du bist doch auf der Suche? Du möchtest
die Farbe der Zufriedenheit finden?" Amado bejahte diese Fragen, obwohl
es ihm immer noch komisch vorkam, mit einem Malkasten zu sprechen. "Ich
kann dir helfen, diese Farbe der Zufriedenheit zu finden. Du musst mir
nur folgen, um in die Farbfleckenwelt zugelangen." "Und wie soll ich dir
folgen?" "Steig einfach in mich hinein." "Du bist doch viel zu klein und
ich würde dich nur zertreten.", lachte Amado. Doch der Malkasten öffnete
seinen Deckel weit, so dass die bunten, teilweise schon stark vermischten
Farben, deutlich sichtbar waren, und sprach: "Vertraue mir und steig einfach
in mich hinein." Amado zögerte noch kurz. Es schien einfach zu verrückt,
einfach in einen alten Malkasten zu treten und diesen völlig platt
zu machen. Doch der alte Malkasten ließ nicht locker. Amado fuhr
sich noch einmal unschlüssig durch die Haare und machte dann einen
entschlossenen Schritt in den Malkasten.
Wohlig
warm entwickelte sich das Gefühl der neuen Welt um Amado. Keinerlei
klare Formen konnte er erkennen. Ein Punkt voll Farbe entstand vor ihm,
eine Farbe deren Wirklichkeit sich in seinem inneren Fühlen stetig
wandelte und neu entfaltete. Sanft beruhigend auseinander fließendes
Blau umspülte seinen Körper und ließ ihn in den angenehm
kühlenden Raum vor sich greifen. Es überraschte ihn in keiner
Weise, dass er dieses Blau ergreifen konnte. Langsam
rann es durch seine Finger und verwandelte sich dabei in das Grün
einer duftenden Frühlingswiese. Das Grün floss zu seinen Füßen
hinab und er legte sich hinein, um sich von ihm umspülen zu lassen.
Es mischte sich in ein sonnigeres helles Grün, welches die Strahlen
der Sonne erahnen ließ. Die Farbe begann zu wärmen. Sie wurde
lebhaft lebendig und bewegte sich fließend in ein angenehm leuchtendes
Rot. Farbflecken in verschiedensten Tönen von Rot
lösten sich vor seinen Augen auf, rannen wieder ineinander, erzeugten
fließende Übergänge, mischten sich zu neuen Rottönen
und verloren sich langsam über ein pulsierendes Orange in ein aufheiternd
sonniges Gelb. Er spürte die stärkende Energie eines kräftigen
gelben Scheines, der wie ein Lichtstrahl in seinen Körper eindrang.
Die Energieströme wurden von neuem aufgeladen und in sanft schwingenden
Bewegungen entlang scheinbar zielloser und trotzdem klar erkennbarer Leitbahnen
in seinen gesamten Körper belebend eingeleitet. In ihm entwickelte
sich eine Stärke innerer Ruhe, die den Gedanken ihr sanftes Geleit
anbot. Doch diese seine Gedanken konnten dieses Angebot der Ruhe
nicht annehmen.
"Warum setzt Du Dich nicht ein Bisschen
zu uns? Wir könnten unsere Farben ihre Harmonien entwickeln lassen
und in neuem Ideenreichtum erstrahlen.", sprach ein blauer Farbfleck Amado
an. Jetzt sprachen also schon Farbflecken mit ihm. Na ja, eigentlich konnte
es nicht als Sprache, wie Amado sie üblicherweise kannte, bezeichnet
werden. Diese Sprache war eine Mitteilung von Gedanken begleitet von Gefühlen.
Es waren Worte, die nicht laut gesprochen wurden, dafür aber immer
von Gefühlen begleitet wurden. Dadurch wurden diese Worte zu leicht
verständlichen und ehrlichen Gedanken. „Ja, komm setz Dich zu uns
und lass uns unsere inneren Farben fühlen.“, meinte ein roter Farbfleck.
„Vielleicht können wir ja unsere Farben tauschen“, dachte ein grüner
Farbfleck und ein leuchtendes Gelb lud in mit einladender Geste zum Setzen
ein. Nach
einigem Zögern, welches immer wieder von freundlichen Einladungen
der Farbflecken begleitet wurde, setzte sich Amado in Mitten der Farben.
Er saß wirklich in Mitten der Farben, denn irgendwie schien er sich
in allen Farben gleichzeitig zu befinden. Es war ein Gefühl, welches
schwer zu beschreiben ist. Es entwickelte sich in ein Gefühl von Ruhe
und Geborgenheit, trotzdem wurde er aber von intensiven Emotionen durchflutet.
Eine starker Fluss positiver, heller Energie durchströmte ihn und
versuchte, seine innere Unentschlossenheit, seine innere Unzufriedenheit
zurückzudrängen ... nein, eher einzubeziehen in den Fluss von
Wärme und Kälte, von Liebe und Hass, von Hell und Dunkel, von
Sicherheit und Angst, von Freude und Traurigkeit ... Es war eine Selbstverständlichkeit
in diesen Gegensätzen und in Mitten der bunten, geselligen Farben
entwickelten sie sich und ihr gegensätzliches Potential zu einer sanften
aber stetigen Ladung positiver Energieflüsse.
Übrigens – wenn ihr Euch gefragt habt,
wo denn die Farben Schwarz, Weiß oder Grau geblieben waren. Die gab
es natürlich auch in der Farbfleckenwelt, aber Amado war eben gerade
nicht nach diesen Farben. Er suchte sie nicht, daher blieben sie im Hintergrund.
Doch auch Schwarz war hier nicht gleich Schwarz. Es war ein trauriges Schwarz,
aber auch ein sattes, schönes, sanft zu berührendes Schwarz konnte
Amado hier fühlen. Weiß konnte strahlen, wie Schnee in der Sonne
oder auch einfach matt sein wie gebrauchte Bettwäsche. Auch das Grau
enthielt die Schönheit eines Sommermorgennebels und konnte sich genauso
im Nebel des Novembers verlieren. Natürlich birgt auch der Novembernebel
schöne Empfindungen. Und genau das machte es ja so schwierig, seine
Farbe der Zufriedenheit zu finden.
Amado versuchte nun, unter all diesen Farben,
seine Farbe der Zufriedenheit zu finden. Dazu war er ja in den Malkasten
hineingestiegen. Das schien aber gar nicht so einfach zu klären zu
sein. Den Farbe zeigte sich hier nicht gleich als Farbe. Was das heißt?
Nun Grün war eben nicht einfach Grün. Es
gab eben viele verschiede grüne Farbflecken. Und genauso verhielt
es sich mit den anderen Farben. Jede Farbe konnte ihre eigene Farbe sein
und trotzdem eine andere Farbe. Und noch schwieriger wurde dies durch Farben,
die nicht innerhalb der eigenen Farben blieben. Da war zum Beispiel ein
Violett, welches eben sowohl Blau als auch Rot war, oder eine oranger Farbfleck,
der sowohl Rot als auch Gelb war. Aber auch Violett war nicht gleich Violett
oder Orange gleich Orange. Amado versuchte seine Farbe der Zufriedenheit
herauszufinden und wurde dabei immer unruhiger. Die Zeit verging und wurde
völlig unwichtig. Er wusste nicht mehr, wie lange er schon hier gesessen
war und mit den Farbflecken sprach – nein – dachte und fühlte. Doch
seine Farbe der Zufriedenheit blieb ihm verborgen.
„Amado,“ vermittelte ihm ein Blau (eines
des vielen verschiedenen Blau), „versuchst Du nicht etwas zu finden, das
Du selbst stets in Dir hast, sich aber immer wieder verändert?“ In
Amado begannen die Gefühle wieder einer ruhigere Farbe anzunehmen.
Doch was meinte das Blau damit. Die anderen Farbflecken begannen in ihren
Gedanken, dem Denken des Blau zu folgen und teilten ihre Zustimmung mit.
„Könnte nicht deine Farbe der Zufriedenheit jeden Tag, jede Stunde,
jede Minute, jede Sekunde,... eine andere Farbe sein? So wie sich deine
Gefühle ändern, so wie deine Energieflüsse ihre Bahnen verändern,
so verändern sich auch deine Farbsinne.“, dachte sich ein gelber Farbfleck
in ihn hinein. „Jede Farbe hat ihre Zeit. Jede Farbe hat ihre Wichtigkeit.
Und manchmal bewegen sich verschiedene Farben im Einklang.“, erklärte
eines von vielen Rot. „Jede Farbe hat ihren Duft“, sagte ein grüner
Farbfleck. „... und jede Farbe hat ihre Melodie“, dachte sich ein sattes
Grau in Amados Gedanken hinein.
Amado
verstand nicht, was im die verschiedenen Farbflecken damit vermitteln wollten.
„Und wie soll ich jetzt die Farbe meiner Zufriedenheit finden? Im Augenblick
gefällt mir Euer buntes Dasein und ich kann mich überhaupt nicht
für eine Farbe entscheiden. Da ist mir einmal nach dem duftenden Grün
der Wiesen, die aber auch in vielen anderen Farben in mir fühlbar
sind. Trotzdem greife ich nach dem Schwarz, suche ein Bisschen nach der
Dunkelheit, um mich danach gleich wieder über ein sonniges Gelb zu
freuen und mich in einem wärmenden Orange glücklich zu fühlen.
Welches ist nun die Farbe der Zufriedenheit?“ Amado spürte die Gedanken
der verschiedenen bunten Farben. Er fühlte sich unter ihnen wohl.
„Eigentlich möchte ich mich gar nicht für eine Farbe entscheiden
müssen. Ich möchte gerade die Farbe sehen und fühlen, die
mir und meiner Stimmung eben gerade entspricht.“
Tja und das war wohl auch schon die Antwort
auf seine Suche nach der Farbe der Zufriedenheit. Er fühlte, wie sich
die verschiedenen Farbflecken über seine Gedanken freuten und im ihre
Zustimmung zusandten. Die Farbe der Zufriedenheit stellte eben nicht eine
bestimmte Farbe dar. Sie war eben immer eine neue Farbe. Sie konnte sich
auch immer wieder wandeln. Und jede neue Farbe konnte eine Überraschung
sein.
So verabschiedete sich Amado wieder aus
der Farbfleckenwelt und kehrte zum Schreibtisch in seinem Zimmer zurück.
Der alte Malkasten bekam aber in Zukunft einen Platz auf seinem Schreibtisch
und wenn Amado sich einmal unruhig, gereizt oder unwohl fühlte, nahm
Amado den Pinsel aus dem Malkasten, ein Blatt Papier aus der Schreibtischlade
und malte sich seine Farben den Zufriedenheit.
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