Nacherzählt
von Erbler Rudolf
Bilder: Erbler Rudolf
Die kleine Hexe und der Frühling
Es war einmal eine kleine Hexe, die den
Frühling über alles liebte. Jedes Jahr freute sie sich aufs neue
über den ersten erfrischenden Frühlingswind, welcher die Kerze
auf ihrem Tisch ausblies und verschiedenste Düfte
von Wiesenblumen, jungen Blättern, Grashalmen, Waldlichtungen und
anderen Frühlingsboten mit sich trug. Jedes Jahr lief die Hexe dann
hinaus auf die Wiesen und füllte ihre Lungen mit den frischen Frühlingsdüften.
Sie freute sich über die bunten Farben der Frühlingsblumen und
das satte Grün der Bäume und Wiesen. Die kleine Hexe legte sich
ins Gras, schloss die Augen und lauschte auf die Geräusche des Frühlings
– das Zirpen der Grillen, die Gesänge der Vögel, das Rauschen
der jungen und kräftigen Blätter im Wind. Dabei genoss sie die
ersten wärmenden Sonnenstrahlen.
Aber jedes Jahr folgte dem Frühling
ein Sommer, dann der Herbst und schließlich der Winter. Und jedes
Mal war die kleine Hexe traurig über das verschwinden, der fröhlichen
Frühlingsboten. Der Winter war der Hexe zu kalt, zu grau – sie hätte
gern immer Frühling gehabt.
Eines
Tages fand die kleine Hexe in einem ihrer Hexenbücher eine Formel,
mit welcher sie angeblich den Frühling einfangen konnte. Die Hexe
beschloss, dies sofort auszuprobieren. Leider hatte sie dabei vergessen,
die Hinweise über unerwünschte Nebenwirkungen zu lesen.
Die Zauberformel funktionierte und es
gelang der kleinen Hexe, den Frühling in einer großen dickwandigen
Glasflasche einzusperren. Sie freute sich darüber, den Frühling
nun immer bei sich zu haben.
Aber bald spürte die kleine Hexe,
dass ihr etwas fehlte. Wo waren die verschiedensten Frühlingsdüfte
von Wiesenblumen, jungen Blättern, Grashalmen, Waldlichtungen und
anderen Frühlingsboten mit sich trug? Vergeblich suchte sie die erfrischende
Frühlingsluft einzuatmen. Auch die Geräusche des Frühlings
blieben aus.
Draußen auf der ganzen Welt warteten
die Menschen ungeduldig auf den Frühling, aber er kam nicht. Der Winter
kostete die Verspätung des Frühlings aus und verbreitete Schnee
und Kälte über die Landschaft. So warteten Menschen und die kleine
Hexe vergeblich auf ein Zeichen des Frühlings. Und die Hexe verstand
dies nicht. Sie hatte doch den Frühling in einer Flasche gefangen
immer bei sich und konnte ihn trotzdem nicht spüren.
Wahrscheinlich hätte die kleine Hexe
ihren Fehler noch lange nicht erkannt, wäre nicht der Frühling
– wie jedes Jahr – immer stärker und kräftiger geworden. Eines
Tages zersprengte er die große dickwandige Flasche in tausend oder
mehr Stücke und verbreitete sich zwar mit Verspätung aber schließlich
und endlich doch wieder auf der Welt. Der frische Frühlingswind blies
die Kerze auf ihrem Tisch aus und trug verschiedenste Düfte von Wiesenblumen,
jungen Blättern, Grashalmen, Waldlichtungen und anderen Frühlingsboten
mit sich. Wie jedes Jahr lief die Hexe dann hinaus auf die Wiesen und füllte
ihre Lungen mit den frischen Frühlingsdüften. Sie freute sich
über die bunten Farben der Frühlingsblumen und das satte Grün
der Bäume und Wiesen. Die kleine Hexe legte sich ins Gras, schloss
die Augen und lauschte auf die Geräusche des Frühlings – das
Zirpen der Grillen, die Gesänge der Vögel, das Rauschen der jungen
und kräftigen Blätter im Wind. Dabei genoss sie die ersten wärmenden
Sonnenstrahlen.
Die Nebenwirkungen des Hexenzaubers hat
unsere kleine Hexe wohl nie gelesen:
Wird der Frühling eingesperrt,
wird seine Verbreitung vorerst verhindert. Damit bleiben auch seine Angenehmen
Wirkungen für alle aus. Aber niemandem wird es jemals gelingen, den
Frühling dauerhaft einzusperren, da dieser immer die Kraft erreicht,
sich den Weg in die Welt frei zu sprengen.
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