Der Prinz und der Drache
(Nacherzählung
durch Waltraude Schuska)
Ein junger Prinz beschloss, Abenteuer zu
suchen und einen Drachen zu töten. Er kaufte sich ein Schwert und
eine Rüstung und machte sich auf den Weg.
In der Höhle des Drachen angekommen,
sah er sich gerade um, als er plötzlich etwas auf seiner Schulter
spürte. Er
drehte sich herum und vor im stand ein riesiger Drache, der einen Finger
auf seine Schulter gelegt hatte. Der Drache fragte den Prinzen: „Hallo!
Was machst denn du hier?“ „Äh – häm – also ...“, sagte der Prinz.
„Immer das Gleiche mit den jungen Rittern“, meinte der Drache. „Gib´s
zu, du wolltest mich töten!“ „Naja – also – ja ...“, stotterte der
Prinz. „Hör zu“, sagte der Drache. „Das ist nicht das erste Mal. Die
dummen Jünglinge kommen an und meinen, wir Drachen wären so doof,
dass man uns einfach so abmurksen könnte, und dabei haben sie noch
nie einen von uns gesehen. Ich mache Dir einen Vorschlag: Wenn du versprichst,
Weisheit zu suchen, lasse ich dich am Leben. Du hast von jetzt an ein Jahr
Zeit, mir eine Frage zu beantworten. Wenn mich die Antwort zufriedenstellt,
bekommst du die Hälfte meines Drachenschatzes, ansonsten fresse ich
dich auf.“ „Hm“, meinte der Prinz „bleibt mir ja wohl nichts anders übrig
...“. „Genau“, sagte der Drache. „Ach ja, und komm ja nicht auf die
Idee abzuhauen und nie wieder zu kommen – ich finde dich, egal wo du dich
versteckst.“ „Na gut“, seufzte der Prinz „und wie lautet die Frage?“
„Die Frage lautet: Was ist jeder Frau
wirklich wichtig?“
Wieder daheim, befragte der Prinz jede
Frau im Schloß, was ihr wichtig sei. Von der Königin bis zu
einfachsten Küchenmagd. Er bekam viele Antworten wie „Schönheit“,
„Klugheit“, „Reichtum“, „Macht“, „viele Kinder“, „einen lieben Mann“......
Aber zu jeder Antwort gab es auch andere Frauen, die das für völlig
falsch hielten.
Er war schon am Verzweifeln, bis ihm jemand
den Vorschlag machte, die alte weise Hexe im Sumpf zu befragen, die einige
Tagesreisen weit weg wohnte. Als er bei der Hexe ankam, schilderte er ihr
sein Problem. Diese meinte, die Antwort zu kennen, aber um den Preis, dass
er sie heiraten würde. Da bekam der Prinz einen Riesenschreck, denn
die Hexe war die häßlichste Frau, die er jemals gesehen hatte:
ein Buckel, die Beine unterschiedlich lang, eine große Warze auf
der Nase; sie roch fürchterlich und ihre Stimme war ein ekelhaftes
Gekrächze. Nach einiger Zeit beschloss er jedoch, dass dies gegenüber
dem Drachen das geringere Übel sei und versprach, die Hexe zu heiraten,
wenn der Drache die Antwort akzeptieren würde.
Daraufhin gab sie ihm ihre Antwort: „Was
sich jede Frau wünscht ist, über die Dinge, die sie persönlich
betreffen, selbst bestimmen zu können“.
Der Drache akzeptierte diese Antwort und
überließ dem Prinzen einen Teil seines Schatzes. Fröhlich
ritt dieser nach Hause, bis er wieder an die alte Hexe dachte. Da er jedoch
ein Prinz war, blieb ihm nichts anderes übrig, als sein Versprechen
einzuhalten. Die Hochzeit wurde angesetzt. Das war ein trauriges Fest!
Die Hexe sah nicht nur furchtbar aus und stank, sie hatte auch die schlechtesten
Manieren, rülpste, furzte und beleidigte die Gäste. Die einen
bemitleideten den Prinzen, die andern machten sich über ihn lustig,
aber jeder fand schnell eine Entschuldigung, sich verabschieden zu müssen,
sodass am frühen Abend die Feier zu Ende war. Danach verabschiedete
sich die Braut ins Schlafzimmer, nicht ohne dem Prinzen mitzuteilen, dass
sie sich auf das, was jetzt kommen sollte, besonders freuen würde.
Der arme Prinz überlegte sehr, ob der Drache nicht doch das kleinere
Übel gewesen wäre. Wie
staunte er jedoch, als er das Schlafzimmer betrat und die schönste
Frau im Bett lag, die er jemals gesehen hatte! Diese duftete angenehm ,
hatte eine schöne Stimme und erklärte ihm, dass sie sehr wohl
die Hexe sei, aber als Hexe auch die Fähigkeit hätte, ihr Aussehen
zu verändern, und dass sie beschlossen hätte, ihn für das
gehaltene Versprechen zu belohnen. Sie wäre in Hinkunft am Tag die
alte Hexe und in der Nacht die junge schone Frau – oder auch genau andersherum,
am Tag schön und in der Nacht die Hexe. Der Prinz könne sich
aussuchen, was ihm lieber wäre.
Der Prinz überlegte lange, was besser
wäre – tagsüber eine schöne Frau, um die ihn alle beneiden
würden, aber schreckliche Nächte, oder tagsüber das Gespött
aller zu sein und dafür die Nächte genießen zu können.
Wie hat er sich wohl entschieden?
NICHT WEITERLESEN! ÜBERLEGE ZUERST:
WAS WÄRE DEINE WAHL GEWESEN?
Der Prinz erinnerte sich an die Frage des
Drachen und antwortete schließlich, dass sie dies selbst bestimmen
solle. Daraufhin freute sich die Hexe und meinte, dass der Prinz damit
erst wirklich seine Weisheit bewiesen habe und sie als Belohnung nun immer
die schöne Gestalt tragen würde.
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