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Autor: Silvia Brückner
Das Silvestermännlein
Zeichnung: Erbler RudolfEs war einmal ein kleines Wichtelmännlein, das lebte ganz alleine in einer Hütte im tiefen Tannenwald, wo sich Fuchs und Hase "Gute Nacht" sagten.

Sein kostbarster Besitz war ein Webstuhl, auf dem es das ganze Jahr über die prächtigsten Teppiche und Wandbehänge webte. Und jedes Jahr, wenn die Adventszeit kam, spannte es seinen Esel ein und fuhr mit all seinen Teppichen und Wandbehängen in die große Stadt auf den Weihnachtsmarkt. 
Die Leute in der Stadt warteten schon immer sehnsüchtig auf das Männlein, denn seine Ware war von erlesener Schönheit. Und wenn der Abend kam, war alles verkauft und kein einziges Stück war übrig geblieben. Von dem verdienten Geld kaufte das Männlein neue Garne für die Teppiche und Wandbehänge, die es im neuen Jahr weben wollte. Dann fuhr es zurück in den heimischen Tannenwald, spannte seinen treuen Esel aus und fütterte ihn reichlich,dann machte es sich in seiner Hütte behaglich.
Vor dem Fenster schwebte Schneeflocke um Schneeflocke hernieder und am Nachthimmel ging der Vollmond auf und schien dem Männlein direkt in die gute Stube. Und wie das Wichtelmännlein so versonnen ins Mondlicht blickte, fielen ihm allmählich vor Müdigkeit die Augen zu, denn es war ein langer Tag gewesen.
Und plötzlich war ihm, als glitte auf einem Mondstrahl eine wunderschöne Frauengestalt direkt in sein Stübchen. die Gestalt trug ein silbern schimmerndes Gewand aus so feinem Gespinst, als sei es aus lauter Mondstrahlen gewebt, und auf ihrem langen, silberblonden Haar thronte ein Diadem aus funkelnden Sternen. Die wunderschöne Frau sprach kein Wort sondern berührte das Männlein nur lächelnd mit ihrem Stab aus gleißendem Mondlicht zwischen den Augenbrauen, dann glitt sie auf demselben Wege, auf dem sie gekommen war, zum Fenster hinaus.
               Als der Morgen dämmerte, erwachte das Männlein, rieb sich die Augen und blickte sich suchend in seiner Hütte um. Aber da er keine Spur von der wundersamen Erscheinung fand, begab es sich wie gewohnt an sein Tagwerk. So vergingen die Tage bis Weihnachten wie im Fluge. Das Wichtelmännlein dachte immer wieder sehnsüchtig an die wunderschöne Frau, aber die ließ sich nicht mehr blicken. "Träume sind Schäume", so sprach es zu sich selbst und versuchte, nicht mehr daran zu denken. 

Und so kam der Tag vor dem Hl. Abend heran. Das Männlein holte seinen Weihnachtsbaum aus dem Wald und putzte seine Hütte blitzblank. Und als es Abend wurde, war es rechtschaffen müde und setzte sich wieder gemütlich in seinen Schaukelstuhl. Und als es so dem Schneetreiben vor seinem Fenster zusah, da fiel ihm mit einem Male auf, dass der Vollmond gar nicht abgenommen hatte. Noch immer stand er kugelrund und behäbig am Nachthimmel. So etwas hatte das Wichtelmännlein in seinem langen Leben noch nie erlebt: Ein Vollmond der nicht abnahm. Und während es sich noch verwundert die Augen rieb, glitt es auch schon sanft in den Schlaf. 
Und kaum war es eingeschlafen, als wieder auf den Strahlen des Vollmondes die schöne Frauengestalt in die Stube spazierte. Sie lächelte ihn freundlich an wie beim ersten Mal und wieder berührte sie ihn mit ihrem Mondlichtstab. "Ich bin die Mondfee", sprach sie zu dem Wichtelmännlein, "und ich habe einen ganz besonderen Auftrag für dich". "Wie schön dich wiederzusehen liebe Mondfee", freute sich das Männlein. "Sage mir nur schnell, was ich tun soll, und es wird auf der Stelle geschehen". "Ein wenig Geduld musst du schon noch haben", lächelte die Fee erfreut über den Eifer des Wichtlemännleins. "Nach Weihnachten, wenn ich das dritte Mal komme, sollst du deine Aufgabe erfahren". 
               Am nächsten Morgen war alles wie beim ersten Mal. Das Männlein erwachte alleine in seiner Hütte. So fasste es sich seufzend in Geduld und machte sich an die letzten Vorbereitungen für den Hl. Abend. Das Futterhäuschen für die Vögel wurde noch einmal gefüllt und auch die anderen Tiere des Waldes sollten zum Fest der Liebe nicht leer ausgehen. Zum Schluss erhielt auch der brave Esel sein Festmahl und wurde der Weihnachtsbaum geschmückt. Und als die Dämmerung hereinbrach, zündete das Männlein die Kerzen am Christbaum an und all den Hasen und Rehen, den Eichhörnchen und Vögeln, die zum Fenster hereinschauten, wurde es ganz feierlich zumute, und selbst der Fuchs saß ganz brav inmitten der anderen Tiere und tat keinem etwas zuleide, denn der Frieden der Hl. Nacht hatte sich auf die ganze Schöpfung herniedergesenkt. Und über den Tannen stand noch immer voll und rund der Mond und lächelte  wohlgefällig auf die Erde herab.

Als das Weihnachtsfest vorüber war, hoffte das Wichtelmännleind auf das dritte Erscheinen der Mondfee, aber nichts geschah. Das Männlein wurde schon ungeduldig, als der Tag vor Silvester anbrach und die Fee noch immer nicht erschienen war.So machte es sich denn daran, seine Hütte wieder blitzblank zu putzen, damit das neue Jahr Einzug halten konnte. Und am Abend war es vom vielen Putzen und Fegen sehr müde. Und als es sich in seinen Schaukelstuhl gesetzt hatte und zum Fenster hinaussah, siehe da, da war noch immer Vollmond. Und da das Wichtelmännlein am Tage so fleißig gewesen war, dauerte es nicht lange, bis ihm die Augen zugefallen waren. Kaum war es eingeschlafen, da glitt die Mondfee zum dritten Mal auf einem Mondstrahl durchs Fenster in die Hütte. Und wieder berührte sie das Webermännlein mit ihrem Zauberstab zwischen den Augenbrauen. "Nun, mein liebes Wichtelmännlein, sollst deine Geduld belohnt werden. Heute sollst du deine Aufgabe erfahren." Geheimnisvoll lächelnd zog die Fee aus der Tasche ihres Gewandes eine Rolle mit Garn und legte sie vor das Männlein auf den Tisch. Da bekam das Männlein kugelrunde Augen vor Staunen, denn das Garn schimmerte und gleißte genauso wie das Gewand der Mondfee. "Dieses Garn aus purem Mondlicht sollst du auf deinem Webstuhl zu ganz besonderen Teppichen verarbeiten," erklärte die Fee. "Auf meinem groben Webstuhl?" fragte das Männlein erschrocken. "Wie soll das gehen? Bestimmt wird das feine Garn zerreißen." "Oh nein", widersprach ihm die Mondfee, "dein Webstuhl ist der beste auf der ganzen weiten Welt für das, was du aus diesem Garn weben sollst, denn du bist ein weises und gerechtes Männlein." Das Männlein blickte verlegen zu Boden, denn noch nie zuvor war es so gelobt worden. "Morgen, in der Silvesternacht", fuhr die Fee fort, "Sollst du mit deinem Eselschlitten auf den Strahlen des Mondes um den ganzen Erdball reisen. Und auf deiner Reise sollst du in jedes Haus blicken und die guten und schlechten Taten der Bewohner aufschreiben.Und wenn du nach Hause zurückkehrst, dann sollst du aus dem Mondlichtgarn für jeden Menschen auf der Erde den Schicksalsteppich für das neue Jahr weben, gemäß seinen Taten.Wenn die Nacht zu Ende geht, werde ich die Teppiche abholen und den Menschen an die Haustüren hängen." Sprachlos blickte das Männlein die Fee an. "Aber bedenke," fuhr die Fee ernst fort,"das Mondlichtgarn ist unbestechlich. Du darfst dich in deiner Gutherzigkeit nicht dazu verleiten lassen, den Menschen etwas Besseres in ihren Schicksalsteppich zu weben, als sie wirklich verdient haben, denn sonst zerreißt das Garn und es herrscht ein ganzes Jahr lang Mondfinsternis." Da erschrak das Männlein fürchterlich. "Heißt das, ich muss den Menschen auch Kummer und Leid in ihren Schicksalsteppich weben?" "Das ist deine Aufgabe." Bestätigte die Mondfee ernst. "Nein, das will ich nicht", widersprach das Männlein heftig, "ich will doch, dass alle Menschen auf der Erde glücklich sind. Es bräche mir das Herz, auch nur einem Menschen Unglück in den Schicksalsteppich zu weben." "Das ehrt dich, liebes Männlein", antwortete die Fee und lächelte gütig, "aber bedenke auch, dass die Menschen auf der Erde nicht durch Glück sondern durch Leid das meiste lernen. Wenn du den Menschen hilfst, aus ihren Fehlern zu lernen, so tust du ihnen den größten Gefallen". Da gab das Männlein seufzend sein Einverständnis aber das Herz ward ihm so schwer wie Blei.

Und als der Silvesterabend kam, geschah alles so, wie es die Mondfee vorhergesagt hatte.
Aber ach, jedesmal wenn das Wichtelmännlein in den Schicksalsteppich eines Menschen Kummer und Leid einweben musste, fiel eine Träne des Mitleids auf das Gespinst und die Träne verwandelte sich augenblicklich in eine Perle. Und als das Männlein all die Schicksalsteppiche betrachtete, da ging ihm mit einem Male auf, dass die schweren Ereignisse in Wahrheit die wahren Kostbarkeiten in den Schicksalen der Menschen waren. Und von da an erfüllte es jedes Jahr in der Silvesternacht freudig die wichtige Aufgabe, die Schicksale der Menschen auf der Erde zu weben.
 

Hexen, Vampire & Magier
Eine der Autorinen ist Silvia Brückner
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