Es
war einmal ein kleines Wichtelmännlein, das lebte ganz alleine in
einer Hütte im tiefen Tannenwald, wo sich Fuchs und Hase "Gute Nacht"
sagten.
Sein
kostbarster Besitz war ein Webstuhl, auf dem es das ganze Jahr über
die prächtigsten Teppiche und Wandbehänge webte. Und jedes Jahr,
wenn die Adventszeit kam, spannte es seinen Esel ein und fuhr mit all seinen
Teppichen und Wandbehängen in die große Stadt auf den Weihnachtsmarkt.
Die
Leute in der Stadt warteten schon immer sehnsüchtig auf das Männlein,
denn seine Ware war von erlesener Schönheit. Und wenn der Abend kam,
war alles verkauft und kein einziges Stück war übrig geblieben.
Von dem verdienten Geld kaufte das Männlein neue Garne für die
Teppiche und Wandbehänge, die es im neuen Jahr weben wollte. Dann
fuhr es zurück in den heimischen Tannenwald, spannte seinen treuen
Esel aus und fütterte ihn reichlich,dann machte es sich in seiner
Hütte behaglich.
Vor
dem Fenster schwebte Schneeflocke um Schneeflocke hernieder und am Nachthimmel
ging der Vollmond auf und schien dem Männlein direkt in die gute Stube.
Und wie das Wichtelmännlein so versonnen ins Mondlicht blickte, fielen
ihm allmählich vor Müdigkeit die Augen zu, denn es war ein langer
Tag gewesen.
Und
plötzlich war ihm, als glitte auf einem Mondstrahl eine wunderschöne
Frauengestalt direkt in sein Stübchen. die Gestalt trug ein silbern
schimmerndes Gewand aus so feinem Gespinst, als sei es aus lauter Mondstrahlen
gewebt, und auf ihrem langen, silberblonden Haar thronte ein Diadem aus
funkelnden Sternen. Die wunderschöne Frau sprach kein Wort sondern
berührte das Männlein nur lächelnd mit ihrem Stab aus gleißendem
Mondlicht zwischen den Augenbrauen, dann glitt sie auf demselben Wege,
auf dem sie gekommen war, zum Fenster hinaus.
Als der Morgen dämmerte, erwachte das Männlein, rieb sich die
Augen und blickte sich suchend in seiner Hütte um. Aber da er keine
Spur von der wundersamen Erscheinung fand, begab es sich wie gewohnt an
sein Tagwerk. So vergingen die Tage bis Weihnachten wie im Fluge. Das Wichtelmännlein
dachte immer wieder sehnsüchtig an die wunderschöne Frau, aber
die ließ sich nicht mehr blicken. "Träume sind Schäume",
so sprach es zu sich selbst und versuchte, nicht mehr daran zu denken.
Und
so kam der Tag vor dem Hl. Abend heran. Das Männlein holte seinen
Weihnachtsbaum aus dem Wald und putzte seine Hütte blitzblank. Und
als es Abend wurde, war es rechtschaffen müde und setzte sich wieder
gemütlich in seinen Schaukelstuhl. Und als es so dem Schneetreiben
vor seinem Fenster zusah, da fiel ihm mit einem Male auf, dass der Vollmond
gar nicht abgenommen hatte. Noch immer stand er kugelrund und behäbig
am Nachthimmel. So etwas hatte das Wichtelmännlein in seinem langen
Leben noch nie erlebt: Ein Vollmond der nicht abnahm. Und während
es sich noch verwundert die Augen rieb, glitt es auch schon sanft in den
Schlaf.
![](tollefee.gif) Und
kaum war es eingeschlafen, als wieder auf den Strahlen des Vollmondes die
schöne Frauengestalt in die Stube spazierte. Sie lächelte ihn
freundlich an wie beim ersten Mal und wieder berührte sie ihn mit
ihrem Mondlichtstab. "Ich bin die Mondfee", sprach sie zu dem Wichtelmännlein,
"und ich habe einen ganz besonderen Auftrag für dich". "Wie schön
dich wiederzusehen liebe Mondfee", freute sich das Männlein. "Sage
mir nur schnell, was ich tun soll, und es wird auf der Stelle geschehen".
"Ein wenig Geduld musst du schon noch haben", lächelte die Fee erfreut
über den Eifer des Wichtlemännleins. "Nach Weihnachten, wenn
ich das dritte Mal komme, sollst du deine Aufgabe erfahren".
Am nächsten Morgen war alles wie beim ersten Mal. Das Männlein
erwachte alleine in seiner Hütte. So fasste es sich seufzend in Geduld
und machte sich an die letzten Vorbereitungen für den Hl. Abend. Das
Futterhäuschen für die Vögel wurde noch einmal gefüllt
und auch die anderen Tiere des Waldes sollten zum Fest der Liebe nicht
leer ausgehen. Zum Schluss erhielt auch der brave Esel sein Festmahl und
wurde der Weihnachtsbaum geschmückt. Und als die Dämmerung hereinbrach,
zündete das Männlein die Kerzen am Christbaum an und all den
Hasen und Rehen, den Eichhörnchen und Vögeln, die zum Fenster
hereinschauten, wurde es ganz feierlich zumute, und selbst der Fuchs saß
ganz brav inmitten der anderen Tiere und tat keinem etwas zuleide, denn
der Frieden der Hl. Nacht hatte sich auf die ganze Schöpfung herniedergesenkt.
Und über den Tannen stand noch immer voll und rund der Mond und lächelte
wohlgefällig auf die Erde herab.
Als
das Weihnachtsfest vorüber war, hoffte das Wichtelmännleind auf
das dritte Erscheinen der Mondfee, aber nichts geschah. Das Männlein
wurde schon ungeduldig, als der Tag vor Silvester anbrach und die Fee noch
immer nicht erschienen war.So machte es sich denn daran, seine Hütte
wieder blitzblank zu putzen, damit das neue Jahr Einzug halten konnte.
Und am Abend war es vom vielen Putzen und Fegen sehr müde. Und als
es sich in seinen Schaukelstuhl gesetzt hatte und zum Fenster hinaussah,
siehe da, da war noch immer Vollmond. Und da das Wichtelmännlein am
Tage so fleißig gewesen war, dauerte es nicht lange, bis ihm die
Augen zugefallen waren. Kaum war es eingeschlafen, da glitt die Mondfee
zum dritten Mal auf einem Mondstrahl durchs Fenster in die Hütte.
Und wieder berührte sie das Webermännlein mit ihrem Zauberstab
zwischen den Augenbrauen. "Nun, mein liebes Wichtelmännlein, sollst
deine Geduld belohnt werden. Heute sollst du deine Aufgabe erfahren." Geheimnisvoll
lächelnd zog die Fee aus der Tasche ihres Gewandes eine Rolle mit
Garn und legte sie vor das Männlein auf den Tisch. Da bekam das Männlein
kugelrunde Augen vor Staunen, denn das Garn schimmerte und gleißte
genauso wie das Gewand der Mondfee. "Dieses Garn aus purem Mondlicht sollst
du auf deinem Webstuhl zu ganz besonderen Teppichen verarbeiten," erklärte
die Fee. "Auf
meinem groben Webstuhl?" fragte das Männlein erschrocken. "Wie soll
das gehen? Bestimmt wird das feine Garn zerreißen." "Oh nein", widersprach
ihm die Mondfee, "dein Webstuhl ist der beste auf der ganzen weiten Welt
für das, was du aus diesem Garn weben sollst, denn du bist ein weises
und gerechtes Männlein." Das Männlein blickte verlegen zu Boden,
denn noch nie zuvor war es so gelobt worden. "Morgen, in der Silvesternacht",
fuhr die Fee fort, "Sollst du mit deinem Eselschlitten auf den Strahlen
des Mondes um den ganzen Erdball reisen. Und auf deiner Reise sollst du
in jedes Haus blicken und die guten und schlechten Taten der Bewohner aufschreiben.Und
wenn du nach Hause zurückkehrst, dann sollst du aus dem Mondlichtgarn
für jeden Menschen auf der Erde den Schicksalsteppich für das
neue Jahr weben, gemäß seinen Taten.Wenn die Nacht zu Ende geht,
werde ich die Teppiche abholen und den Menschen an die Haustüren hängen."
Sprachlos blickte das Männlein die Fee an. "Aber bedenke," fuhr die
Fee ernst fort,"das Mondlichtgarn ist unbestechlich. Du darfst dich in
deiner Gutherzigkeit nicht dazu verleiten lassen, den Menschen etwas Besseres
in ihren Schicksalsteppich zu weben, als sie wirklich verdient haben, denn
sonst zerreißt das Garn und es herrscht ein ganzes Jahr lang Mondfinsternis."
Da erschrak das Männlein fürchterlich. "Heißt das, ich
muss den Menschen auch Kummer und Leid in ihren Schicksalsteppich weben?"
"Das ist deine Aufgabe." Bestätigte die Mondfee ernst. "Nein, das
will ich nicht", widersprach das Männlein heftig, "ich will doch,
dass alle Menschen auf der Erde glücklich sind. Es bräche mir
das Herz, auch nur einem Menschen Unglück in den Schicksalsteppich
zu weben." "Das ehrt dich, liebes Männlein", antwortete die Fee und
lächelte gütig, "aber bedenke auch, dass die Menschen auf der
Erde nicht durch Glück sondern durch Leid das meiste lernen. Wenn
du den Menschen hilfst, aus ihren Fehlern zu lernen, so tust du ihnen den
größten Gefallen". Da gab das Männlein seufzend sein Einverständnis
aber das Herz ward ihm so schwer wie Blei.
Und
als der Silvesterabend kam, geschah alles so, wie es die Mondfee vorhergesagt
hatte.
Aber
ach, jedesmal wenn das Wichtelmännlein in den Schicksalsteppich eines
Menschen Kummer und Leid einweben musste, fiel eine Träne des Mitleids
auf das Gespinst und die Träne verwandelte sich augenblicklich in
eine Perle. Und als das Männlein all die Schicksalsteppiche betrachtete,
da ging ihm mit einem Male auf, dass die schweren Ereignisse in Wahrheit
die wahren Kostbarkeiten in den Schicksalen der Menschen waren. Und von
da an erfüllte es jedes Jahr in der Silvesternacht freudig die wichtige
Aufgabe, die Schicksale der Menschen auf der Erde zu weben.
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