Es
gab einmal einen Engel, der hatte eigentlich seinen festen Platz bei
den himmlischen Heerscharen und hatte bis jetzt auch noch an nichts
anderes gedacht, als zur rechten Zeit seine Harfe anzuschlagen und
seinen weißen Arbeitsanzug sauber zu halten. Das ging schon seit vielen
tausend Jahren so und Jonny, so hieß er, hätte sich nicht träumen
lassen, dass sich daran noch mal etwas ändern würde. Träumen war
übrigens auch nicht seine Sache, war er selber doch nicht weniger als
ein Traum.
Aber
es kam doch anders. Der Herrgott, den er immer sehr gerne mochte, weil
er immer so schön gütig war und sich noch nie beschwert hatte, wenn er
mal einen falschen Ton auf seiner Harfe angeschlagen hatte, hatte
nämlich einen himmlischen Plan gefasst. Und zwar hatte er sich
entschlossen, dass es an der Zeit wäre, den Menschen ein Zeichen zu
geben, dass es den Herrgott noch gäbe.
Dazu schien es Gott auch höchste Zeit zu sein, denn die Menschen waren
gerade eifrig dabei, immer mehr von dem kaputt zu machen, was er doch
mal mit so viel Mühe geschaffen hatte. Gott wurde angst und bange, wenn
er nach unten blickte. Gerade neulich hatte ihn wieder ein furchtbarer
Knall aus dem Schlaf gerissen und es hatte bis zu ihm herauf geblitzt.
Den Engeln hatte es fast den Heiligenschein weggeblasen.
Gott rief also den Jonny zu sich und sprach sehr lange und ernsthaft
mit ihm über seine Sorgen. Schon einmal hätte er versucht, den Menschen
etwas Klarheit zu schenken, damit sie nicht mehr soviel kaputt machen
müssten. Damals hätten sie da unten schon die gleichen Probleme gehabt:
Die einen waren reich und die anderen versklavt und glücklich war
niemand.
Damals war auch ein Bote auf die Erde geschickt worden, erzählte
Herrgott. Aber die Mission war nicht wunschgemäß verlaufen: Zuerst war
der menschliche Körper des Boten ermordet worden und dann hatten die
Menschen noch eine fürchterlich sentimentale Geschichte aus seinem
Leben gemacht. Eine Geschichte, die sich die Menschen zwar immer wieder
zur Belebung des Weihnachtsfestes anhörten aber überhaupt nicht mehr
zuhörten. Und daher kam die Liebe, die in der Geschichte steckte,
überhaupt nicht mehr hervor und die Welt wurde kälter und kälter.
Darum hatte sich Gott also nun entschlossen, einen neuen Versuch zu
starten, bevor sich die Menschen vor lauter Unglück alle gegenseitig
umgebracht hatten.
Also meinte Gott: "Pass auf Jonny, du nimmst dir jetzt deine Harfe,
ziehst deinen leuchtenden Arbeitsanzug an und dann gehst du runter auf
die Erde. Dort musst du dir dann jemanden suchen, der oder die diese
Weihnachtsgeschichte wirklich und ernsthaft verstanden hat. Den oder
die musst du dann bitten und ermutigen und ihm oder ihr die Kraft
geben, sie allen anderen Menschen zu erzählen. Während dieser
Erzählungen musst du dann immer auf deiner himmlischen Harfe spielen,
damit sie das Herz der Menschen aufschließt. Alles was in der
Weihnachtsgeschichte erzählt wird, wird dann direkt in das Herz der
Menschen dringen und dann ist die Welt bestimmt gerettet."
So einfach war das also. Jonny war begeistert. Da Heiligabend nicht
mehr fern war, machte er sich auch gleich auf den Weg zu den Menschen.
Er überlegte, welche Menschen die Weihnachtsgeschichte wohl am
dringendsten nötig hätten. Nachdem er einige Zeit auf die Erde
heruntergeschaut hatte, kam er auf die sogenannten zivilisierten
Menschen in diesen sogenannten reichen Ländern.
Es war aber gar nicht einfach in diesen Ländern einen Menschen zu finden, der als
Erzähler oder Erzählern in Frage käme.
In einer Einkaufsstraße fand Jonny einen Mann mit einem gemütlich
aussehenden Bart, einer Zipfelmütze und mit Kindern um ihn
herumstehend, der erzählte Weihnachtsmärchen. "Das muss er sein,"
dachte Jonny und schwebte zu ihm herunter.
Aber um so näher er kam um so verwirrter wurde er: die Kinder hörten ja
gar nicht zu! Woran lag das nur? Und dann merkte er, dass der Mann in
ein Mikrophon sprach so dass die Kinder gar nicht seine wirkliche
Stimme hörten sondern nur ein hässliches Gekrächze. Und der Bart war
nicht echt, die Mütze war aus Pappe und als er dann noch in die
Gedanken des Mannes schaute, sah er dort nur seine nächste
Gehaltsabrechnung. Die Geschichte, die er erzählte, interessierte ihn
überhaupt nicht, obwohl sie wirklich sehr schön war. Außerdem war er
noch von so hellen Lampen angeleuchtet, dass er seine Zuhörerschaft gar
nicht anschauen konnte.
Das war es also nicht. Schnell schwebte Jonny weiter. "Sind die
Menschen etwa alle so?" fragte er sich verzweifelt. Da kam er an einer
Kirche vorbei, die war zu Ehren Gottes aufgebaut worden, erinnerte er
sich. Das musste also eine Stelle sein, wo die Menschen noch von Gott
und seiner Liebe wussten. Schnell schwebte Jonny herunter. Tatsächlich,
der Oberpriester erzählte gerade die Weihnachtsgeschichte.
Aber was war das? Die wenigen Zuhörer waren ja gar nicht von der Liebe der Geschichte erfüllt!
Wäre das der Fall gewesen hätten sie sich doch umarmen müssen,
zumindest ab und zu einmal anlächeln. Aber nichts von alledem. Jonny
spürte auch den Grund. Der Pastor glaubte und fühlte selbst nicht, was
er erzählte. Er hatte die Geschichte jahrelang studiert, zerpflückt,
analysiert, hinterfragt, so dass von der Wärme, den feinen
unberührbaren Zusammenhängen nichts mehr übrig war. Deshalb konnte er
die Geschichten auch nicht mehr erzählen. Er erzählte den Menschen
daher Dinge aus ihrer Welt, einer Welt, die sie kannten, deren
Einsamkeit sie kannten und in der sie es dem Pastor natürlich auch
nicht glaubten, wenn er von Gemeinsamkeit und Nächstenliebe sprach.
Niedergeschlagen verließ Jonny die Kirche. Sollte es auf dieser Welt
etwa niemanden mehr geben, der die Weihnachtsgeschichte wirklich
erzählen konnte? Er schwebte weiter, vorbei an den hektischen,
geschenkehortenden Menschen, den stinkenden Autos und dem Lärm.
Solange, bis es stiller wurde, bis die Menschen weniger und stiller
wurden, bis dahin, wo die Stadt den Schnee nicht mehr zu einem endlosen
grauen Matsch einschmolz und noch weiter.
Und Jonny fand ein kleines Dorf, im Norden eine Kirche, in der Mitte
ein Haus, darin ein warmes Zimmer mit einem Ofen und daneben ein
Mädchen hinter einem Spinnrad. Es spann Wolle und dachte dabei an die
Schafe, die die Wolle für die Menschen hergaben und an die Hirten, die
dort draußen in der Kälte auf die Schafe aufpassten. Und das Mädchen
mochte die Schafe und die Hirten und überhaupt die Menschen und ganz
besonders die Kinder. Es spürte deshalb, was die unschuldige Liebe
eines Kindes der Welt der Erwachsenen geben konnte und dass manche der
Hirten dort draußen in der Kälte sehr viel mehr Wärme übrig hatten, als
dieser Landpfleger in seinem warmen Palast.
Und was das Wichtigste für Jonny war, das Mädchen kannte auch die
Weihnachtsgeschichte. Sie erzählte sie manchmal kleinen Kindern, auf
die sie aufpasste um Geld zu verdienen und sie wurde auch verstanden.
Die Augen der Zuhörer fingen dann an zu leuchten und die Wärme der
Geschichte sprang auf sie über. Nur die meisten älteren Leute
verstanden nur wenig. Deren Herzen waren schon zu fest verriegelt.
"Endlich," dachte Jonny, "hier ist meine Aufgabe, hier habe ich den Menschen gefunden, der die Welt retten kann.
Und Jonny holte seine Harfe heraus und schlug sie an. Plötzlich war die
Welt um das Mädchen wie verzaubert. Menschen, die vorher gar kein
Interesse an der Geschichte hatten, kamen plötzlich herbei, baten, die
Geschichte zu erzählen, hörten zu, tauten innen drin auf, wurden
lebendig und verstanden die Geschichte mit Begeisterung.
Ihre Herzen schlugen höher und die Menschen erzählten die Geschichte
weiter, denn sie hatten gemerkt, wie viel Liebe sich Menschen geben
können.
Die Menschen sahen auf einmal, wie grau die Welt, die sie sich
erschaffen hatten war. Sie wollten auf einmal leben, weil sie an das
lebende Kind im Stall von Bethlehem dachten. Sie nahmen alle ihre
Bomben auseinander und verbuddelten sie tief unter der Erde. Dann
trafen sie sich überall, um die Weihnachtsgeschichte zu hören und sie
nahmen sich die Zeit dazu, die sie vorher nie gehabt zu haben glaubten.
Jonny spielte sich die Finger wund und das Mädchen begann heiser zu
werden aber die beiden waren froh. Und Jonny merkte, dass sein Plan
oder vielmehr der des lieben Herrgottes aufgegangen war.
Und so gaben die beiden so viel von ihrer doppelten Liebe, der Liebe
des Menschen, die mit himmlischer Hilfe auf offene Herzen traf, an die
Menschen weiter, dass die Welt ein ganz kleines Stück besser wurde.
Das Einzige, was das Mädchen und auch Jonny nicht wussten und was ihnen
manchen Zweifel erspart hätte, war folgendes: Gott hatte viele, viele,
viele Jonnys auf die Erde geschickt und in jeder Ecke und überall
fanden sie Menschen, ein Mädchen, einen Jungen, einen Mann, eine Frau,
die die Weihnachtsgeschichte noch verstanden. Und all die Jonnys halfen
all den Menschen, sie weiter zu erzählen. Und darum scheint es doch so
zu sein, dass die Welt noch nicht ganz verloren ist.
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