Verlorene Zeit
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Autor: Rudi alias "Das letzte Einhorn?" (Erbler Rudolf)

Irgendwie fühlte ich mich an diesem Morgen merkwürdig. Der Wecker piepste  zwar - moderne Wecker läuten nicht sie piepsen - schien aber gleichzeitig im Zimmer zu verhallen, sich in den ersten Sonnenstrahlen zu verlieren. Moderne Wecker synchronisieren sich auch mit irgendeiner Atomuhr (irgendwo in Frankfurt), die kaum mehr Unregelmäßigkeiten in der Vergänglichkeit der Zeit zulässt, außer der Empfang wird durch atmosphärische oder künstliche Ereignisse gestört. Wie jeden morgen tauchte ich erst langsam in das Bewusstsein des Morgens auf, um nicht durch zu schnelle Veränderung des Traumdrucks die Verbindung zur Realität zu verlieren und in der Welt meiner Phantasien zu entschweben. Eigentlich tauchte ich aus meiner erholsamen Traumwelt eher widerstrebend auf - nicht nur an diesem Morgen. Merkwürdiger Weise blieb auch das muntere Gezwitscher unseres Graupapageis, welches auf das Weckerpiepsen sonst pünktlich folgte, an diesem Morgen aus. Und der Beginn dieses Tages fühlte sich in mir nicht wie ein Tagesbeginn an, - aber auch nicht wie Mittag oder Abend oder Nacht.

Als ich auf die digitale Anzeige meines Weckers blickte, zeigte dieser ... sie war leer. Aber sie war eben nicht leer, wie bei energielosen Batterien zu erwarten, denn das Funksymbol blinkte munter und fröhlich in den Tag hinein. Nur die Zahlen auf der Anzeige waren eben keine Zahlen - ich konnte sie nicht als Zahlen begreifen. Die Zeit schien nicht einfach nicht zu vergehen, sie war einfach nicht vorhanden. Als ich die Teemaschine einschaltete war bis zu diesem Augenblick - Zeitpunkt wäre an diesem Tag nicht das richtige Wort gewesen - keine spürbare Zeit vergangen.
        Alle Uhren weigerten sich, die Zeit anzuzeigen. Die Uhr im Vorzimmer hatte keine Zeiger. Und ein Blick auf den Kalender sagte mir, dass es ganz plötzlich nicht mehr wichtig wäre, welcher Tag gerade angebrochen wäre. Hatte dieser Tag gerade begonnen? War ich überhaupt vorhanden?

Plötzlich hatte ich das Gefühl, frei in einem Raum ohne Zeit zu schweben - in einer schon unerträglichen Unendlichkeit. Aber wie oft hatte ich mir gewünscht, unendlich viel Zeit zu haben. Jetzt schien mein Wunsch in Erfüllung gegangen zu sein - und ich bekam Angst davor. Irgendwie verlor ich jegliche Orientierung und wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte.

Ich beschloss, ganz schnell wieder ins Schlafzimmer zu gehen und meine Lebensgefährtin zu wecken, damit sie mir in meiner zeitlosen Verlorenheit helfen konnte. Es war vorerst mühsam, sie munter zu bekommen. Aber noch mühsamer war es für sie, mich zu überzeugen, dass ich gerade aus einem Traum erwacht war und unser Graupapagei endlich zu seinem Futter wollte.

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