Es war einmal vor
langer langer Zeit in einem fernen Land ... . Es war
Winterszeit, aber
kein Schnee war weit und breit zu sehen. Es war bitter
kalt, und die Weiher
und Seen waren zugefroren. Aber es hatte schon lange
nicht mehr geschneit.
Die Kinder schlidderten zwar ab und zu auf dem
gefrorenen Eis herum,
aber sie sehnten sich danach, Schneemänner und -burgen
bauen zu können
und Schlitten zu fahren. Sehnsuchtsvoll sahen sie immer
wieder nach oben,
ob nicht endlich die ersehnten Schneeflocken sanft vom
Himmel herab wirbelten.
Nicht nur die Kinder,
auch die jungen Männer und Mädchen sehnten den Schnee
herbei. Sie hatten
immer solch fröhliche Spiele im Schnee veranstaltet. Doch
jetzt sah man kaum
jemand von den jungen Leuten draußen. Es war ihnen
einfach zu kalt
- und zu trostlos. Ein junger Mann, den sie Jan nannten,
machte sich darum
eines Tages auf, die Winterkönigin zu suchen. Er wusste
nur aus Erzählungen,
wo sie leben sollte. Aber er war zuversichtlich, sie zu
finden. Und dann
wollte er sie bitten, es endlich wieder schneien zu lassen.
Frohen Mutes schritt
er aus, warm eingepackt in einen langen Mantel, eine
wärmende Mütze
und dicke Stiefel. Lange Stunden wanderte er so dahin; immer
weiter ging es durch
diese kalte eisige Landschaft. Überall war nur Eis zu
sehen und kahle,
frierende Bäume, die ihre nackten Äste in die frostige Luft
streckten.
Als
er schon fast nicht mehr daran glaubte, dass er jemals etwas anderes zu
sehen bekäme,
erreichte er ein großes Tor. Seltsam sah dieses Tor aus: Es
bestand aus gefrorenem
Eis, und war über und über mit großen
Schneekristallen
bedeckt. Es glitzerte und funkelte nur so in dem Schein der
Wintersonne! Jan
betrachtete voller Freude die wunderschönen funkelnden
Schneekristalle.
Doch wie fassungslos war er, als er durch das Tor trat: so
weit er schauen
konnte, war alles mit einer dicken Schicht aus weißem
flaumigem Schnee
bedeckt. Tief sanken seine Füße in dem dichten Schnee ein,
als er weiter ging.
Er konnte sich nicht
satt sehen an dem zauberhaften Anblick. Wie berauscht
war er von dem Bild,
das sich seinen Augen darbot. Wie lange hatte er schon
nicht mehr so eine
dicke Schneedecke gesehen? Zwei, drei - viele viele
Jahre! Die Äste
der Bäume bogen sich von der dichten Schneelast, die sie
bedeckte. Alles
war mit einer dicken Schneemütze bedeckt - so weit das Auge
reichte. Und überall
standen Statuen aus Eis herum, die seltsam echt
wirkten.
Jan stapfte weiter
durch den dichten Schnee, bis er an einem mächtigen
Eispalast ankam.
Das Tor stand offen, ... und gerade kam ein anmutiges Wesen
aus diesem Tor,
dessen Anblick Jan den Atem anhalten ließ: es war eine junge
Frau von berückender
Schönheit. Sie war von schlanker Gestalt, mit langen
Haaren in kühlem
Blond. Ihre Augen waren von einem Blau, so blau wie der
Winterhimmel. Ihr
Kleid glitzerte über und über von Eiskristallen, und der
dicke Mantel, den
sie darüber trug, war so weiß und weich wie die
Schneedecke um sie
herum.
Mit sanfter Stimme
sprach die Winterkönigin zu Jan: "Sei willkommen in
meinem Reich! Sieh
dich um, all das Schöne soll nur für dich sein. Es wäre
schön, wenn
du bei mir bleiben würdest, denn ich bin immer so alleine." Jan
war bezaubert von
dem schönen Wesen, und hätte alles versprochen, was sie
nur wollte. Er ließ
sich von ihr bewirten mit den herrlichsten Speisen,
machte lange Spaziergänge
mit ihr und lauschte gebannt dem sanften Klang
ihrer Stimme.
Er spürte, dass
seine Anwesenheit die Winterkönigin glücklich machte. Doch
trotzdem lag immer
ein Hauch von Schwermut über ihrem Wesen. Er konnte sich
nicht erklären,
warum sie so traurig war. Schon längst hatte er vergessen,
weswegen er sich
überhaupt auf den Weg zu ihr gemacht hatte. Sein ganzes
Sinnen war danach
ausgerichtet, in der Nähe der bezaubernden jungen Frau zu
sein.
Aber - am Anfang
noch unmerklich, doch dann immer offensichtlicher - begann
sich Jan zu verändern:
seine Haut wurde kalt und fahl, das Blut pulsierte
nicht mehr so lebensfroh
durch die Adern; es wurde immer schwerer für ihn,
zu atmen und sich
zu bewegen. Bis, ... ja, bis er zu Eis erstarrt war. Der
letzte Gedanke,
der ihn durchzuckte, war: `Jetzt weiß ich, welche Bewandtnis
es mit den so echt
wirkenden Statuen auf sich hat!´ Doch diese Erkenntnis
kam für ihn
zu spät.
Traurig
sah die Winterkönigin auf den zu Eis gewordenen Jan - sie konnte
nichts dagegen tun.
Alle, die den Weg in ihr Reich gefunden hatten, waren zu
Eis erstarrt, nachdem
sie eine Weile hier bei ihr waren. Nichts konnte diese
Entwicklung aufhalten.
Wehmütig streichelte sie der Eisgestalt über die
Wangen, und ging
wieder in ihren Eispalast zurück.
In dem Dorf, aus
dem Jan stammte, wartete ein junges Mädchen sehnsuchtsvoll
auf die Rückkehr
des
jungen Mannes. Jeden Tag hielt sie Ausschau nach ihm -
und jeden Tag aufs
Neue musste sie enttäuscht umkehren. Da fasste Katja, wie
das junge Mädchen
genannt wurde, einen Entschluss: sie wollte losgehen und
Jan suchen. Entschlossen
zog sie warme Sachen an und machte sich auf den
Weg.
Als sie einige Zeit
gegangen war, traf sie am Rande eines Dorfes ein
weinendes Mädchen.
Teilnahmsvoll fragte sie: "Warum weinst du?" Da blickte
das Mädchen
auf und entgegnete traurig: "Seit einem Jahr warte ich auf die
Rückkehr von
meinem Liebsten. Er war losgegangen, um die Winterkönigin zu
suchen und sie zu
bitten, es endlich schneien zu lassen. Aber er kehrte nie
zurück." Katja
nickte dem Mädchen aufmunternd zu und bat sie, doch
mitzukommen. Denn
auch sie suche nach ihrem Liebsten, der eines Tages
einfach losgegangen
war, wahrscheinlich mit dem selben Vorhaben.
Als die beiden weitergingen,
trafen sie im nächsten Dorf wieder ein
weinendes Mädchen,
das eine ähnliche Geschichte erzählte. Und auch in allen
weiteren Dörfern,
durch die sie kamen, trafen sie Mädchen, die
sehnsuchtsvoll auf
ihre Liebsten warteten, die schon so lange fort waren.
Die Schar der jungen
Mädchen wurde immer größer, denn alle hatten sich
entschlossen, sich
der Suche nach dem Reich der Winterkönigin anzuschließen.
Lange mussten sie
durch die kalte Eislandschaft wandern, bis sie endlich an
dem Tor aus Schneekristallen
ankamen, welches der Eingang in das Reich der
Winterkönigin
war. Sie sahen sich bezaubert um: Wie wunderschön es hier war!
Wie herrlich doch
der dichte weiße Schnee aussah, der unter ihren Füßen
knirschte und wie
dicke weiße Watte auf den Zweigen der Bäume lag!
Doch als sie weitergingen,
sahen sie die Statuen aus Eis, und nach und nach
schrie jedes der
Mädchen laut auf. Sie riefen den Namen des Liebsten, der da
in Eis verwandelt
vor ihnen stand. Verzweifelt mussten sie feststellen, dass
alle Statuen leblos
und kalt vor ihnen standen. Nichts war mehr von dem
warmen Leben zu
spüren, das einst durch ihre Adern pulsierte.
Katja ging weiter.
Sie hatte als einzige ihren Jan noch nicht gefunden. Als
sie vor dem Eispalast
angelangt war, der in kalter Pracht vor ihr stand,
entdeckte sie endlich
die zu Eis erstarrte Figur. Sie lief weinend auf Jan
zu und umarmte ihn
voller Mitleid. Sie streichelte über sein Gesicht und
vergoss heiße
Tränen über das, was mit ihm geschehen war. Sie konnte einfach
nicht glauben, dass
der ganze weite Weg umsonst sein sollte. Immer neue
Tränen quollen
aus ihren Augen hervor und tropften auf die zu Eis gewordene
Gestalt.
Doch
plötzlich begann sich die Eisstatue zu bewegen. Sie wurde warm und
weich ... und Jan
stand wieder lebendig vor ihr. Er konnte es gar nicht
fassen, dass er
gerettet war. Er umarmte und herzte seine Katja, und bat sie
immer und immer
wieder um Verzeihung, dass er sie so einfach verlassen und
hier bei der Winterkönigin
auf sie und ihre Liebe vergessen hatte. Katja war
überglücklich,
dass Jan wieder lebendig vor ihr stand und verzieh ihm gerne
alles.
Von allen Seiten
kamen nun auch die anderen Mädchen herbei, die genauso
heiße Tränen
um ihre Liebsten vergossen hatten und diese dadurch erlöst
hatten. Viele viele
Paare hielten sich eng umschlungen, kaum glaubend, dass
der böse Spuk
nun ein so glückliches Ende gefunden hatte. Alle redeten und
lachten durcheinander.
Plötzlich ging
das Tor des Eispalastes auf, und die Winterkönigin trat
heraus. Als die
Mädchen die Traurigkeit in ihren Augen sahen, war ihr Zorn
schnell verraucht.
"Es tut mir leid, was euren Liebsten geschehen ist. Ich
weiß, es war
egoistisch von mir, sie hier zu behalten, obwohl ich doch
wusste, dass sie
zu Eis erstarren würden. Ich war doch so allein hier in
meinem riesigen
Reich, und freute mich über jede Gesellschaft, auch wenn sie
nicht von Dauer
sein konnte. Wie bin ich froh, dass ihr sie mit eurer Liebe
wieder zum Leben
erwecken konntet!
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